Sündenfall - Kreuzgang der Kathedrale von Girona - Spanien, 12. Jhd. - Foto:
Claudio Lange
1. Rechtfertigung des Heiligen Krieges
Im Zuge der theokratischen Tendenz der katholischen Kirche im 11.
Jh. und ihrer Emanzipation aus jeder politischen Bevormundung, übernahm die
Kirche die politische Aufgabe der Erklärung dessen, was naturgemäß ein
"heiliger" Krieg werden musste. Damit entfiel auch ästhetisch der
Unterschied zwischen "Tempel und Palast", und wir sehen in und an Kirchen im
11. und 12. Jahrhunderts Skulpturen entstehen, deren Rechtfertigung in dieser
politischen Dimension der Kirche liegen. Die steinernen Diskurse werden
sowohl außerbiblische wie biblische, alt- wie neutestamentarische
Zusammenhänge antiislamisch inszenieren. Der heutige Betrachter dieses
Kirchenschmucks sollte sich darauf verlassen, dass die Bildhauer damals
genau wussten, was sie darstellten.
So stellt sich die Frage, was diese seltsame Pflanze (oben im Bild), von der Adam isst
und aus der die Schlange kommt, aussagen soll. Mitarbeiter des Dahlemer
Botanischen Museums unter Prof. Hiepko halfen mir vor Jahren, diese Pflanze
zu identifizieren. Die Antwort der Botaniker lautet: Die abgebildete Pflanze
besteht aus zwei Pflanzen: unten die stachelige datura stramonium
(Teufelsapfel), oben die mystische Alraune. Beide gehören zur medizinischen
Grundausstattung alter mittelmeerischer Hochkulturen und kamen erst mit den
Arabern nach West-Europa.
So können wir die politische message dieses Steinreliefs wie folgt
umreißen: Die Teilhabe an bzw. das Überläufertum zum Islam und dessen Kultur
wird als Ursünde dargestellt. Dies entspricht auch der Klage über abtrünnige
Christen in der Literatur.
Portallunette, San Pedro de Cervatos, Kantabrien, Spanien 12.
Jh. - Foto: Claudio Lange 2. Kriegstrophäen
Wenn man sich klar macht, dass das Westchristentum spätestens
seit 1095 dem Kreuzzug gegen die Moslems huldigt und dass ein heiliger Krieg
ein totaler Krieg ist, wird das übliche kunsthistorische Gerede von einem
arabischem Einfluss in der christlichen Kunst schnell suspekt, schließlich
absurd. Die These der Einflüsse dient einer Verniedlichung des Abgrunds
zwischen den Feinden. Heute kann nachgewiesen werden, dass die arabisierenden Versatzstücke in und
an christlichen Gebäuden sich nicht irgendwelchen Einflüssen, sondern der
exakten Logik des Heiligen Krieges verdanken: Es sind Kriegstrophäen.
Berühmtes Beispiel dafür sind die Säulen, auf denen der Dom in Pisa steht,
wie auch der bronzene Greif auf dem Domdach. Beides sind Trophäen aus Siegen
gegen das muslimische Sizilien. Das Wandgemälde mit der Höllenfahrt
Mohammeds im anliegenden Campo Santo rundet das antiislamische Pisa ab. Über
dessen schiefen Turm schrieb ich einmal, er sei die trophäale Kopie eines
Minaretts, das durch drangehängte christliche Glocken aus dem Gleichgewicht
geriet. Das arabisierende Versatzstück des Löwenmotivs im Portalbogen von Cervatos
signalisiert eine Siegestrophäe im heiligen Krieg und garantiert den Zugang
zum Paradies. Sie ist nachweisbar vom gleichen Bildhauer geschaffen worden,
der auch die aggressiv antiislamischen Fensterkapitelle und Kragsteinreihen
schuf.
Signatur des Gofridus. Kapitell, Chauvigny, Poitou, Frankreich, 12. Jh. - Foto: Claudio Lange
3. Skulpturen als kreative Kriegspropaganda
Nachdem die "treuga dei" (Gottesfriede), der Versuch der Kirche,
eine zivile Gesellschaft in der damaligen 3. Welt des Westchristentums
herzustellen, gescheitert war, begannen französische Kirchenleute Mitte des
11. Jahrhunderts sich für ein äußeres Feindbild zum Zwecke innerer
Befriedung zu begeistern. So beginnt die neue Skulptur als ein Mittel der
antiislamischen Massenmobilisierung. Man tat sich in Dijon und St. Benoit
sur Loire mit Steinmetzen zusammen, deren Aufgabe es werden sollte,
allgemeinverständliche Bildformeln der Erniedrigung, der Besiegbarkeit des
Feindes für tausende neuer Kirchen zu finden. Das macht die Wiederkehr der
Skulptur aus, die bisher als 'Romanik' bezeichnet wurde; fälschlicherweise,
denn nicht Rom sondern der Anti-Islam stand bei der Wiederkehr der Skulptur
Pate. Die oft geniale Erfüllung des Kriegspropagandaauftrages durch die alten
Steinmetze verwandelte sie in neue Bildhauer und führte dazu, dass sie
nicht, wie die Maler und Musiker, anonym blieben, sondern ihre
Agitationsbilder signierten. So auch hier, wo Gofridus seine Kunst
auffällig markiert. Die Legende von der Anonymität mittelalterlicher
Steinmetze ist lange passé, man kennt heute etwa 500 Bildhauer- und
Architektensignaturen. Die neu erfundenen, meist vorbildlosen Skulpturen
entsprachen vor allen Dingen dem Bildverständnis des Volkes. Ihre Schöpfer
waren kreativ, die erfolgreichsten Werke wurden sofort an anderen Kirchen
kopiert.
Stylophore (säulentragende) pornografische Löwin.
Dom, Ravello, Italien 12. Jh. - Foto: Claudio Lange |
Gefesselte Muslime als Atlanten. Portal Oloron/Ste. Marie, P. Atlantiques, Frankreich, 12. Jh. Foto: Claudio Lange |
Bilder von Huren als muslimische Paradiesfrauen (Huris).
Kragsteine, St. Palais, Frankreich, 12. Jh. - Foto: Claudio Lange 4. Tragende Bauelemente
Der steinerne antiislamische Bilddiskurs zwischen 1030 und 1160
argumentiert obszön, humorvoll und triumphalistisch, und der Feind Nr. 1 ist
der Islam. Architektur sowie neue Skulptur nutzen die Last tragenden
Bauelemente – Kapitelle, Kragsteine, Säulenbasen – um, auch gegen jedes
Stilgefühl verstoßend, den Feind, das Negative, dort zu platzieren.
Die Gotik wird später einen umgekehrten antiislamischen Diskurs entwickeln,
bei dem das Christentum als leidender Teil erscheint und bei dem zugleich
wieder die positiven Elemente (Engel), wie aus Byzanz bekannt, Kapitelle,
Kuppeln und Balken tragen.
Kreuzritter kämpft gegen Einhörner.
Kapitell, Kreuzgang Sta. Sofia, Benevento, Italien, 12. Jh.
Foto: Claudio Lange
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Einhorn penetriert sich selbst.
Chorstuhl, Real Basílica San Isidro, León, Spanien.
Foto: Claudio Lange
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Löwe befriedigt sich selbst.
Kragstein, Chauvigny, Poitou, Frankreich, 12 Jh.
Foto: Claudio Lange |
Trommelnde Affen. Selbstbefriediger.
Mensulae am alten Rathaus, Köln, 14. Jh.
Foto: Claudio Lange |
5. Semantik des Massendiskurses
Verlässt man sich auf die antiislamischen Bilder, kann es zu
folgenschweren Entdeckungen kommen. Die Kirche der Hl. Sofia von Benevento
wurde zur Propaganda des 3. Kreuzzuges errichtet. Was soll da ein gegen
Einhörner, mit einem Kreuz auf dem Schild gekennzeichneter, kämpfender
Kreuzritter? Was hat der Islam mit dem Einhorn zu tun?
Das Schrifttum über das Einhorn berichtet nur von dessen Reinheit,
Einsamkeit, Jungfräulichkeit.
Die Antwort darauf ist, dass im Volksmund "Einhorn" längst etwas anderes
bedeutete. Das geht aus den Akten der Synode von Douci im Jahr 871 hervor,
in denen "Einhorn" als eins der schlimmsten Schmähworte erscheint, das dem
Beleidigten das Recht zu gewaltsamen Reaktionen einräumte. Entsprechend wird
auch in den Darstellungen "Einhorn" Selbstbefriediger / Wichser bedeuten.
Damit wird das Einhorn als Feind des Kreuzzüglers verständlich, insofern es
die Semantik des damaligen Massendiskurses beinhaltet. Die Figurationen
des ersten antiislamischen Diskurses finden sich später in gotischen
Chorstuhlschnitzereien und Wasserspeiern. Manchmal wurden sie auch
antisemitischen Diskursen zugeführt, wie im Fall der Mensulae am alten
Rathaus von Köln, das auf den Trümmern des ehemaligen Judenghettos errichtet
wurde.
Obszöne Narren und Araber. Auferstehungsportal St. Pierre et
Paul, Beaulieu sur Dordogne, Corrèze, 12. Jhd.
Foto: Claudio Lange 6. Nacktheit und Obszönität
An den Kapitellen des Vorbaus der Kirche von St. Benoit sur Loire,
um 1030 begonnen, finden wir zum ersten Mal ein antiislamisches
Gesamtskulpturprogramm. Neben trophäalen Nachahmungen von Kapitellen der
Moschee von Córdoba erscheinen nackte Frauen (die ersten der christlichen
Kunstgeschichte) als Atlanten oder als Tänzerinnen. Der antiislamische
Diskurs ist bereits auch nach außen gewendet, um die Öffentlichkeit und den
Markt zu erreichen.
Das reife antiislamische Bildprogramm wird dann etwa 50 Jahre später in
Toulouse wichtige Elemente des spanischen Antiislamismus - Apokalypse,
Kragsteine, Märtyrertum - einbeziehen.
Was die durchgehende Obszönität des antiislamischen Diskurses angeht, so
kann uns die Portallunette von Beaulieu darüber aufklären. Da macht sich ein
Narr mit obszöner Handgeste über die auferstehenden Toten lustig, während
ein Muslim mit gespaltenem Bart und Turban sowie weiterer Narr die Christen
verspotten, indem sie ihr Geschlecht zu entblößen beginnen – eine Geste, die
wir, bis zur letzten Obszönität auch an Kragsteinen oder Chorstühlen finden.
Nacktheit und Obszönität sind in Beaulieu als Erkennungsmarke, als
skulpturelles Logo des Nichtchristen zu entschlüsseln. Das Prinzip
funktioniert ganz einfach: ein nackter Musiker ist ein nichtchristlicher
Musiker, ein nackter Fassträger ist ein nichtchristlicher Fassträger usw.
Angemerkt sei, dass auch in der Literatur die christliche Auferstehung von
Nichtchristen als "Erektion" verspottet wurde (Christenwitze).
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